Interview mit dem Tagesspiegel zum Abi-Stress
Blackouts müssen nicht sein, sagt Swantje Goldbach, pädagogische Leiterin des Lernwerks, im Interview mit der Zeitung. Unter der Überschrift „Wenn man eine Krise hat, hilft Bewegung“ verrät sie, wie man sich auf das Abitur und andere große Prüfungen am besten vorbereitet.
Frau Goldbach, wie sieht der ideale Lernplan aus, um sich auf die Abiturprüfungen vorzubereiten?
Am besten fängt man schon am Anfang der Kursphase an, spätestens aber am Anfang des letzten Schuljahres. Ich rate dazu, sich die wichtigsten Themen und Inhalte auf Karteikarten zu schreiben. Man kann auch mit Mitschülern Arbeitsgruppen bilden. Einmal in der Woche, zum Beispiel freitagnachmittags oder samstags, trifft man sich und lernt zusammen. Eineinhalb Stunden, dann eine Pause, dann noch mal eineinhalb Stunden. Wenn man das regelmäßig jede Woche macht, ist das perfekt, dann bleibt das Wissen auch gut hängen.
Wahrscheinlich sind nicht alle Schüler so diszipliniert. Was ist, wenn man erst ein paar Wochen vor der Prüfung so richtig mit der Vorbereitung anfängt?
Dann sind wir schon in der intensiven Lernphase. Dann kann man noch einen Crashkurs besuchen, oder man macht sich selbst einen guten Plan. Wichtig ist, auf genügend Schlaf, Pausen, Bewegung und eine gute Ernährung zu achten. Am allerwichtigsten aber ist es, für sich selbst einen regelmäßigen Lernrhythmus zu finden.
Wie könnte der aussehen?
Zum Beispiel so: zu einer vernünftigen Zeit aufstehen, um acht oder neun Uhr. Nach einem kleinen Frühstückt lernt man eineinhalb Stunden und beschränkt sich dabei auf aufnehmendes Lernen: also auswendig lernen, Informationen wiederholen. Wichtig ist, nicht nur stumm in den Ordnern zu blättern. Am besten liest man laut vor, dabei kann man auch herumgehen. Dann macht man eine Pause, isst vielleicht noch mal was und lernt dann wieder eineinhalb Stunden mit aufnehmendem Wissen. Anschließend sollte man unbedingt eine Bewegungspause machen. Flott spazierengehen ist super, dann kann der Körper das aufgenommene Wissen gut verarbeiten. Danach kommt die Phase des abgebenden Wissens: Da schreibt man zum Beispiel eine Probeklausur, rechnet Aufgaben durch oder erstellt eine Mindmap.
Und dann?
Danach ist Freizeit. Ich rate meinen Schülern, nach dem Lernen nicht sofort Netflix anzuschalten oder Computerspiele zu spielen. Besser ist es, zu baden, zu kochen, sich zu unterhalten, aktiv zu sein. Jedenfalls sollte man besser nichts tun, was das Gehirn weiter mit Input füttert, damit in dieser intensiven Phase das Gelernte nicht gleich wieder sozusagen überschrieben und damit gelöscht wird. Beim Lernen sollte man das Handy aus dem Zimmer lassen, sonst ist man zu abgelenkt. Am besten legt man eine digitale Abstinenzphase in dieser Zeit ein.
Sollte man eher ein Thema am Tag lernen oder mehrere durcheinander?
Grundsätzlich ist es empfehlenswert, in Blöcken zu lernen, also ein Fach am Tag oder auch mal zwei Tage am Stück. Es kommt aber auch darauf an, wie viel Zeit man noch hat und wie sicher man ist. Man kann auch zum Beispiel morgens Biologie wiederholen und nachmittags Matheaufgaben lösen.
Wie wichtig sind Probeklausuren?
Sehr wichtig, das sollte man unbedingt machen. So kann man sich selbst testen.
Was tun, wenn man ein paar Tage vor der Prüfung mit den Nerven am Ende ist und das Gefühl hat, viel zu wenig zu können?
Ich empfehle unseren Schülerinnen und Schülern gerne als Befreiungsstrategie einen langen Spaziergang, ruhig auch in der Stadt. Wer mag, kann zur Ablenkung noch einen Block mitnehmen und aufschreiben, was ihr oder ihm beim Gehen auffällt. Bewegung ist nach meiner Erfahrung die beste Erste-Hilfe-Maßnahme zur Überwinden einer Nervenkrise.
Der letzte Tag vor der Klausur, wie verbringt man den?
Am Abend vorher sollte man nicht mehr lernen. Aber man sollte schauen, ob alles an Material da ist: Geht der Taschenrechner, sind die Stifte parat, hat der Füller Patronen. Und sich einen guten Ablauf überlegen: Wann muss ich aufstehen, wann muss ich los. Vielleicht kann man die Eltern bitten, dass sie einen wecken. All das bringt Sicherheit. Dann vielleicht noch mal baden, mit den Eltern unterhalten oder ein Gesellschaftsspiel spielen. Und natürlich rechtzeitig schlafen gehen.
Was empfehlen Sie für die Klausur selbst?
Ich empfehle meinen Schülern, mit der Einstellung in die Klausur zu gehen, dass sie es sich nach all den langen Schuljahren verdient haben, diese Klausur zu schreiben. Dass sie jetzt zeigen dürfen, was sie können. Ich rate ihnen, den Moment auch ein bisschen zu genießen. Man kann sich auch klarmachen, dass, selbst wenn alles schiefgeht, die Welt nicht untergeht und es immer noch Möglichkeiten gibt.
Was tun, wenn man dennoch während der Klausur einen Blackout hat?
Wenn man gut und regelmäßig gelernt hat, wenn man das Gelernte nicht überschrieben hat, wenn man auf Schlaf und Bewegung geachtet hat, dann hat man schon viel zur Blackout-Sicherheit getan. Aber wenn es doch vorkommt, dann rate ich dazu, aus der Situation rauszugehen. Man kann sich für einen Toilettengang abmelden, und dann auf der Toilette eine Weile auf der Stelle rennen. Denn der Körper möchte in dieser Situation fliehen. Gut atmen, und meistens kommt das Wissen dann wieder.
Es heißt, dass es verschiedene Lerntypen gibt, die mit bestimmten Methoden besser lernen. Was halten Sie davon?
Das kann ich bestätigen. Manche lernen gut über das Hören, die haben wenig Probleme. Sie hören zu, was der Lehrer erzählt und verarbeiten das. Manche können gut über die Augen lernen, die haben auch wenig Probleme. Schwieriger ist es manchmal für diejenigen, die über Bewegung und Gefühl lernen. Für sie ist es besonders wichtig, beim Lernen zu sprechen, auch mal aufzustehen, auf- und abzugehen. Sie sollten möglichst viele Sinne ansprechen, zum Beispiel können sie auch mit farbigen Markierungen zu arbeiten.
Viele Schüler nutzen Videos und andere Inhalte aus dem Internet, um zu lernen. Können Sie das empfehlen?
Am Anfang der Kursphase, also lange vor Beginn der Abiturprüfungen, kann es sinnvoll sein, so zu lernen vor allem, wenn man sich nach einem Video das Wichtigste auf Karteikarten schreibt. Aber in der Intensivphase vor den Prüfungen würde ich davon abraten. Die Gefahr, dass man wegrutscht, von einem Video zum nächsten wechselt und dann bei einem anderen Thema landet, ist einfach zu groß.
Das Gespräch führte Sylvia Vogt, Der Tagesspiegel. Erschienen am 16. April 2019Von: Sylvia Vogt, Der Tagespiegel